07.12.2018

Muss ein Arbeitnehmer seinen Urlaub aktiv beantragen, damit er nicht verfällt?

Keine andere Regelungsmaterie innerhalb des Arbeitsrechts hat sich in den letzten Jahren derart tiefgreifend geändert wie das Urlaubsrecht. Grund hierfür ist, dass der gesetzliche Mindesturlaub einen unionsrechtlichen Hintergrund hat. Bei Zweifelsfragen haben daher die deutschen Arbeitsgerichte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen, da diesem die Letztentscheidungskompetenz über die Auslegung und Vereinbarkeit des Bundesurlaubsgesetzes mit der entsprechenden unionsrechtlichen Richtlinie (2003/88/EG) zusteht.

Stichpunktartig dürfen wir nur noch einmal auf die folgende durch die Rechtsprechung des EuGH bedingten Änderungen des deutschen Urlaubsrechts aufmerksam machen:

  • Bei Dauererkrankten verfällt der Urlaubsanspruch erst 15 Monate nach Ende des jeweiligen Kalenderjahres (= 31.03. des übernächsten Kalenderjahres)
  • Bei Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit keine Kürzung bzw. Anpassung des offenen Jahresurlaubs auf geringere Arbeitstage pro Woche
  • Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein reiner Geldanspruch:
    • Verzicht auf Urlaubsabgeltung nach Beendigung Arbeitsverhältnis möglich (Vorsicht bei Abgeltungsklauseln in Vergleichen)
    • Urlaubsabgeltung unterfällt Ausschlussfristen
    • Entstandener Urlaubsabgeltungsanspruch ist vererblich

Derzeit ist beim EuGH noch die Frage anhängig, ob auch die Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers eine finanzielle Abgeltung für den zum Todeszeitpunkt noch offenen Urlaubsanspruch des Erblassers verlangen können.

Aktuelle Vorlagefrage

Zu dieser Sache gesellt sich nun ein weiteres durch das Bundesarbeitsgericht initiiertes Vorabentscheidungsverfahren. Mit Beschluss vom 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A) hat das BAG dem EuGH die Frage zur Klärung vorgelegt, ob – vereinfacht ausgedrückt – ein Arbeitnehmer seinen Urlaub aktiv von sich aus beantragen muss, damit der (Rest-)Urlaubsanspruch nicht zum Ende des Urlaubsjahres bzw. zum Ende des Übertragungszeitraums (= 31.03. des Folgejahres) ersatzlos verfällt.

Bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war die Frage mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden, wobei der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Wünsche des Arbeitnehmers grundsätzlich zu berücksichtigen hat. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG nur möglich, wenn dringende betriebliche (z.B. hoher Arbeitsbedarf) oder in der Person des Arbeitnehmers (insbes. Krankheit über Jahresende hinaus) liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Resturlaub nach § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Der 31.03. fungiert sozusagen neudeutsch als „Deadline“ für den Resturlaub des Vorjahres.

In Anbetracht dieser eindeutigen Gesetzeslage vertritt das BAG seit jeher die Auffassung, dass der Resturlaub (infolge Zeitablaufs) ersatzlos verfällt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub beim Arbeitgeber nicht im Urlaubsjahr bzw. spätestens im Übertragungszeitraum geltend gemacht hat. Hat der Arbeitgeber den Urlaub trotz entsprechenden Verlangen nicht gewährt, bleibt der entsprechende Urlaubsanspruch auch über den 31.03. hinaus ausnahmsweise (als inhaltsgleicher Schadensersatzanspruch) bestehen.

Gegenteilige Auffassung einzelner Landesarbeitsgerichte aus unionsrechtlichen Gründen

Gegen diese gefestigte Rechtsprechung hat sich in den letzten Jahren vereinzelt Widerstand gebildet. Aus Gründen des Unionsrechts haben sich einige Landesarbeitsgerichte offen gegen die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gestellt. Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14; Urteil vom 07.05.2015 – 10 Sa 86/15), das LAG München (Urteil vom 06.05.2015 – 8 Sa 982/14; andere Ansicht aber Urteil vom 20.04.2016 – 11 Sa 983/15) sowie das LAG Köln (Urteil vom 22.04.2016 – 4 Sa 1095/15; Urteil vom 10.11.2016 – 8 Sa 323/16) entschieden, dass der Arbeitgeber von sich aus verpflichtet sei, den Arbeitnehmer in den Urlaub zu schicken. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, verfalle der (Rest-) Urlaubsanspruch selbst dann nicht, wenn der Arbeitnehmer zuvor überhaupt keinen Urlaub geltend gemacht habe. Der Urlaubsanspruch habe nach der Rechtsprechung des EuGH in erster Linie den Zweck, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen und zu erhalten. Die Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften falle in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers. Daher habe der Arbeitgeber die Pflicht zur Urlaubsfestlegung, um hierdurch die Erfüllung der gesundheitsschützenden Vorschriften des Urlaubsrechts sicherzustellen.

Handlungsempfehlung

Wann und vor allem wie der Europäische Gerichtshof über das Vorabentscheidungsverfahren entscheiden wird, lässt sich nur schwer vorhersagen. Bleibt der EuGH seiner Linie treu, wird er einen weiteren Beitrag dazu leisten, das deutsche Urlaubsrecht auf den Kopf zu stellen, indem er fortan eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Urlaubsgewährung aufstellt. Der Arbeitgeberseite können wir daher nur empfehlen, bereits im Urlaubsjahr 2017 diese mögliche Änderung der Rechtslage zu berücksichtigen.

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