Sachgrundlose Befristung trotz Vorbeschäftigung
Neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 23.01.2019 – 7 AZR 733/16)
Unveränderte Gesetzeslage:
§ 14 Abs. 2 TzBfG erlaubt bei Neueinstellungen die Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne einen Sachgrund, und zwar bis zu einer Dauer von maximal zwei Jahren. Für längere Befristungen bzw. Befristungsketten sind sachliche Gründe erforderlich. Die ersten beiden Sätze von § 14 Abs. 2 TzBfG lauten:
„Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.“
Das heißt: Bestand zwischen einem Arbeitgeber und einem „neu“ eingestellten Arbeitnehmer schon einmal ein Arbeitsverhältnis, ist eine sachgrundlose Befristung unzulässig. Dabei macht das Gesetz keinerlei Ausnahmen, d.h. sachgrundlose Befristungen sind (anscheinend) auch dann ausgeschlossen, wenn das vorherige Arbeitsverhältnis z.B. schon 20 Jahre zurückliegt und nur von kurzer Dauer war.
Frühere Rechtsprechung des BAG:
Mit einem solchen unbeschränkten „Vorbeschäftigungsverbot“ wollte sich das BAG nicht abfinden und entschied im Jahre 2011, dass die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ohne Sachgrund bereits dann möglich ist, wenn zwischen den Parteien mehr als drei Jahre lang kein Arbeitsverhältnis bestand.
Diese BAG-Rechtsprechung war umstritten, da die aus dem Jahre 2000 stammende Befristungsregelung des § 14 Abs.2 Satz 2 TzBfG keine Anhaltspunkte für eine dreijährige Karenzzeit bietet.
Daher urteilten seit 2011 einige Arbeits- und Landesarbeitsgerichte (LAG) abweichend von der BAG-Linie. Sie gaben Arbeitnehmern, die gegen eine sachgrundlose Befristung klagten, auch dann recht, wenn der Befristung eine länger als drei Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung vorausging.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts:
Mit Beschluss vom 06.06.2018 (Az. 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) beendete das Bundesverfassungsgericht diese Diskussion im Sinne der Kritiker des BAG: Eine Dreijahres-Grenze ergibt sich nicht aus dem Gesetz, so die Karlsruher Richter. Daher verstößt die BAG-Rechtsprechung gegen die Bindung der Justiz an Gesetz und Recht und ist damit verfassungswidrig.
Allerdings ist auch das BVerfG der Meinung, dass es in (seltenen) Extremfällen geboten ist, sachgrundlose Befristungen trotz einer Vorbeschäftigung als wirksam zu bewerten, um unzumutbare Ergebnisse zu vermeiden. Solche Ausnahmefälle liegen z.B. dann vor, wenn ein früheres Arbeitsverhältnis schon „sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist“.
Neue Rechtsprechung des BAG:
In dem vom BAG entschiedenen Streitfall ging es um einen 1972 geborenen Metallfacharbeiter, der bereits vom 19.03.2004 bis zum 30.09.2005 und damit gut eineinhalb Jahre als gewerblicher Arbeitnehmer bei dem beklagten Automobilproduzenten gearbeitet hatte.
Danach trennten sich die Wege der Parteien für knapp acht Jahre, bis der Arbeitnehmer erneut bei seinem Ex-Arbeitgeber als Facharbeiter im Bereich „Produktion und Logistik“ eingestellt wurde, und zwar sachgrundlos befristet vom 19.08.2013 bis zum 28.02.2014. Nach drei weiteren Verlängerungen endete dieses Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf des 18.08.2015, d.h. es hatte eine Dauer von genau zwei Jahren.
Der Arbeitnehmer wollte sich diese Befristung nicht gefallen lassen und erhob Entfristungsklage vor dem Arbeitsgericht Stuttgart, das ihm recht gab (Urteil vom 14.01.2016, 21 Ca 5246/15). Das für die Berufung zuständige LAG Baden-Württemberg entschied ebenfalls zu seinen Gunsten (LAG Baden-Württemberg Urteil vom 11.8.2016, 3 Sa 8/16).
Auch in Erfurt vor dem BAG hatte der Kläger Erfolg, der damit seine Entfristung durchsetzen konnte. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:
Seit 2011 hatte das BAG zwar entschieden, dass § 14 Abs.2 Satz 2 TzBfG nicht auf Vorbeschäftigungen anzuwenden ist, die länger als drei Jahre zurückliegen. Diese BAG-Rechtsprechung kann jedoch aufgrund des BVerfG-Beschlusses vom 06.06.2018 (1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) nicht aufrechterhalten werden, so das BAG reumütig. Denn mit dieser Rechtsprechung hatte das BAG „die Grenzen vertretbarer Auslegung gesetzlicher Vorgaben überschritten“, weil der Gesetzgeber des Jahres 2000 eine solche Karenzzeit „erkennbar nicht regeln“ wollte.
Ein „extremer Ausnahmefall“ lag bei einer Zwischenzeit von 8 Jahren zwischen den beiden Beschäftigungsverhältnissen ebenfalls nicht vor.
Bemerkenswert:
Schließlich konnte sich der Arbeitgeber auch nicht darauf berufen, dass er bei Abschluss des sachgrundlos befristeten Vertrags auf die seit 2011 bestehende BAG-Rechtsprechung vertraut hatte. Einen solchen Vertrauensschutz gewährt das BAG nicht. Denn der Arbeitgeber musste bei Abschluss des ersten Vertrags und der drei Verlängerungsvereinbarungen mit der Möglichkeit rechnen, dass die für ihn günstige BAG-Rechtsprechung vor dem BVerfG keinen Bestand haben könnte.
Praxishinweis:
Vor jeder Neueinstellung empfiehlt es sich daher unbedingt, zu prüfen, ob der künftige Arbeitnehmer bereits jemals zuvor – und nicht nur innerhalb der letzten 3 Jahre – bei dem einstellungswilligen Arbeitgeber beschäftigt war. Eine erneute sachgrundlose Befristung wird – außer in ganz extremen Fällen – dann nicht mehr möglich sein.