07.03.2019

Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigung

BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 378/18

Seit 30.06.2016 ist die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne ordnungsgemäße Beteiligung der zuständigen Schwerbehindertevertretung unwirksam, § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX (früher § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX).

Arbeitgeber sind verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung gilt auch bei Kündigungen und ist als solche nicht neu. Ihre Missachtung war in der Vergangenheit mit Blick auf die Wirksamkeit der Kündigung allerdings folgenlos. Durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen („Bundesteilhabegesetz“) wurden die Rechtsfolgen einer unterbliebenen oder fehlerhaften Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung deutlich verschärft. Seit dem 30. Dezember 2016 ist die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne ordnungsgemäße Beteiligung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung unwirksam, § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX n.F. (§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX a.F.). 

Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung tritt neben die Anhörung des Betriebsrats und das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt. Das Gesetz lässt jedoch offen, zu welchem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erfolgen muss. Umstritten ist insbesondere, ob aus dem Erfordernis einer „unverzüglichen“ Unterrichtung eine Pflicht zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung noch vor dem Antrag auf Zustimmung des Integrationsamtes folgt. 

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Hagen war der Auffassung, die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung müsse am Beginn der vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen stehen. Der Antrag beim Integrationsamt fürfe daher erst nach Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung erfolgen, da diese andernfalls nicht mehr an der Willensbildung des Arbeitgebers mitwirken könne. Das Berufungsgericht LAG Sachsen hatte daraufhin entschieden, dass die Schwerbehindertenvertretung zwar nicht erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und/oder der Anhörung des Betriebsrats beteiligt werden dürfe, ihre Unterrichtung und Anhörung aber nicht schon vor der Einleitung der anderen Beteiligungsverfahren abgeschlossen sein müsse.

Das BAG hat die Entscheidung des LAG Sachsen nun aufgehoben.

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen sei nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats beteiligt habe.

Für die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung seien die gleichen Grundsätze gültig wie für die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 und 2 BetrVG. Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht.

Inhaltlich muss die Unterrichtung die SBV in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Der Arbeitgeber darf seine Unterrichtung nicht auf die „schwerbehindertenspezifischen Kündigungsbezüge“ reduzieren, sondern muss die SBV umfassen informieren. Die SBV darf im Umkehrschluss auch „nicht behinderungsspezifische“ Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung erheben. Die SBV hat in gleichem Maße Anspruch auf Mitteilung der Gründe für die Kündigung wie der Betriebsrat. Neben dem Kündigungssachverhalt sind zudem der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung sowie grundsätzlich die weitren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen.

Auch hinsichtlich der Stellungnahmefristen greift das BAG mangels eigener Regelung im SGB IX auf die Fristen der Betriebsratsanhörung in § 102 Abs. 2 BetrVG zurück. Das hat zur Folge, dass die SBV etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine beabsichtigte außerordentliche KÜndigun unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen mitzuteilen hat. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht.

Praxishinweis:

Maßgeblich ist, dass die SBV vor Durchführung oder Vollziehung einer Entscheidung, hier dem Ausspruch der Kündigung, ordnungsgemäß unterrichtet und angehört wird.

Wenn ein Betriebsrat vorhanden ist, empfiehlt es sich für den Arbeitgeber, die SBV gleichzeitig mit dem Betriebsrat und genauso wie diesen zu unterrichten und anzuhören. Dann kann eigentlich nichts schief gehen.

Ist ein Betriebsrat nicht vorhanden, so ist das Wichtigste für den Arbeitgeber, die SBV nicht zu vergessen. Mit der ausdrücklichen Orientierung an § 102 BetrVG hat das BAG nun jedoch eindeutige Anwendungsmaßstäbe für die Praxis an die Hand gegeben.