15.10.2019

BSG: Kein Vertrauensschutz in „Kopf- und Seele-Rechtsprechung“

Das Bundessozialgericht hat in einer lang erwarteten Entscheidung vom 19.09.2019, die bislang nur in einer Pressemitteilung vorliegt ( https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019_41.html ), dass weder die „Kopf-und-Seele“-Rechtsprechung einzelner Senate des Bundessozialgerichts noch Betriebsprüfungen, die mangels Beanstandungen ohne Bescheid beendet wurden, Vertrauensschutz vermitteln würden. Hier haben einige Instanzgerichte, so auch das SG Würzburg, noch anders entschieden. Das BSG hat keine grundlegende Änderung einer Rechtsprechung anderer Senate erkannt. Die entsprechenden Entscheidungen „seien spezifische Einzelfälle“ und damit keine ständige Rechtsprechung. Dies hat zur Folge, dass die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen von Betriebsprüfungen auch rückwirkend Beiträge von betroffenen Unternehmen einfordern kann.

Hintergrund: im Jahr 2015 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass es auch in Familiengesellschaften alleine auf die konkrete Gestaltung in den Gesellschaftsverträgen ankomme. Eine bisher angenommene unternehmerische Stellung allein aufgrund eines familiären Näheverhältnisses („Kopf- und-Seele-Rechtsprechung“) sei nicht ausreichend. Maßgeblich sei allein die aufgrund der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags einer Gesellschaft verliehene Rechtsmacht. Eine tatsächliche Rücksichtnahme oder Verabredungen, die keinen Niederschlag in die Verträge gefunden habe, genüge nicht. diese Rechtsprechung hat die DRV zum Anlass genommen, auch für Zeiten vor dem Jahr 2015 Sozialversicherungsbeiträge für Gesellschaftergeschäftsführer in Familiengesellschaften nachzufordern, teilweise Beträge im sechsstelligen Bereich. Die Betroffenen haben sich – wie nun herausgestellt hat, vergeblich – darauf berufen, dass sie der bisherigen Rechtslage vertraut haben und dieses Vertrauen schutzwürdig gewesen sei.

Stellungnahme: Die Entscheidung des Bundessozialgerichts überzeugt nicht. Denn gleich, ob es eine „ständige Rechtsprechung“ im formellen Sinne gab oder nicht: bis 2015 war es völlig unstreitig, dass Familienbetriebe anders „ticken“ als Gesellschaften mit externem Management. Auch die Deutsche Rentenversicherung hat in ihren Prüfungen aufgrund interner Richtlinien diese Konstellationen bis 2015 stets als versicherungsfreie Rechtsverhältnisse angenommen. Erst durch die Rechtsprechung 2015 hat sich diese Ansicht grundsätzlich verändert. Die neue Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus 2015 ist zwar durchaus zu begrüßen, da hierdurch klare Verhältnisse geschaffen werden. Die jetzt getroffene Entscheidung allerdings trifft auch Familiengesellschaften schwer, die sich bisher absolut rechtstreu verhalten haben. Wer bis 2015 auf die allgemeine Rechtsauffassung vertraut hat und erst im Zuge der geänderten Auffassung 2015 zeitnah seine Gesellschaftsverträge angepasst hat, kann dennoch rückwirkend zur Kasse gebeten werden. Nach Art. 20 GG ist es dem Gesetzgeber verboten, zulasten seiner Bürgerinnen und Bürger rückwirkend einzugreifen. Wenn das Grundgesetz dies allerdings dem Gesetzgeber schon verbietet, so muss dies nach unserer Auffassung erst recht auch für die den Gesetzen unterworfene Justiz und Verwaltung gelten. Nach unserer Überzeugung durfte das Bundessozialgericht nicht über diese Tatsache hinweg sehen.

Praxishinweis: Wenn es noch nicht getan hat sollte es jetzt tun: Unbedingt sollten die betrieblichen Verhältnisse an die im Jahr 2015 geänderte Rechtsprechung des BSG angepasst werden. Was die Rückwirkung angeht, so bleibt nur zu hoffen, dass die Verjährung, hier vier Jahre, eintritt. Ansonsten ist es der deutschen Rentenversicherung übernommen, bis zur Grenze dieser Verjährung Sozialversicherungsbeiträge für Gesellschaftergeschäftsführer in Familiengesellschaften nachzufordern. Im Einzelfall kann es sich hierbei um sechsstellige Beträge handelt.

Ausblick: Zumindest einen positiven Aspekt scheint dieses Urteil zu haben: das BSG verpflichtet die DRV zukünftig bei Betriebsprüfungen einen Verwaltungsakt zu erlassen, der ausdrücklich die geprüften Fälle benennt und sich nicht auf die Feststellung beschränkt, die „stichprobenartige“ Prüfung sei ohne Beanstandungen geblieben. Bisher fiel der Nachweis schwer, bzw. war unmöglich, in einem Gerichtsverfahren darzulegen, dass der konkrete Fall bereits geprüft wurde, nicht beanstandet worden ist und daher Vertrauensschutz bewirkt. Das wiederum bedeutet, dass für die Zukunft auch Sicherheit bestehen dürfte, in welchen Fällen man zukünftig „beruhigter schlafen“ kann.