BAG: Auskunftsanspruch gegen gekündigten Arbeitnehmer über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung entschied das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 27.05.2020, dass dem Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs nach einer unwirksam Kündigung fordert, ein Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge zusteht (Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19).
Hintergrund
Wird ein Arbeitnehmer gekündigt, hat er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage zu erheben. Ein solcher Kündigungsschutzprozess dauert, wenn er über mehrere Instanzen geht, derzeit mindestens 12-18 Monate. Wird rechtskräftig festgestellt, dass die Kündigung unwirksam ist, muss der Arbeitgeber nicht nur den ehemals gekündigten Arbeitnehmer wieder beschäftigen. Vielmehr muss er dem Arbeitnehmer grundsätzlich für den Zeitraum seit der ursprünglich angenommenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zur Wiederaufnahme der Arbeit das Gehalt nachzahlen, das er in diesem Zeitraum verdient hätte, wenn er gearbeitet hätte (sog. Annahmeverzugslohn).
Nur wenn der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum eine neue Arbeitsstelle annimmt oder es „böswillig“ unterlässt, einer neuen Arbeit nachzugehen, kann der Arbeitgeber den Annahmeverzugslohn um das (theoretisch) verdiente Gehalt kürzen (vgl. § 615 S. 2 BGB, § 11 Nr. 2KSchG).
In der Praxis lief diese Kürzungsmöglichkeit bisher regelmäßig in die Leere: Arbeitnehmer gehen nur äußerst selten während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses ein neues Arbeitsverhältnis ein.
Zudem handelte es sich bislang bei dem Einwand eines böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes in der Praxis um ein stumpfes Schwert. Denn den Umstand, dass ein Arbeitnehmer „böswillig“ nicht gearbeitet hat, kann der Arbeitgeber mangels eigener Kenntnis regelmäßig nicht beweisen.
Im Ergebnis wurde somit das finanzielle Annahmeverzugsrisiko für den Arbeitgeber mit zunehmender Dauer des Kündigungsschutzprozesses immer größer (Faustformel: pro Monat ein Bruttomonatsgehalt seit letzter erfolgter Gehaltszahlung). Insbesondere dieser Umstand ist verantwortlich dafür, dass Arbeitgeber bisweilen bereit sind, im Vegleichswese beträchtliche Summen als Abfindung zu zahlen.
Zukünftig werden Arbeitgeber in entsprechenden Verhandlungssituationen wohl regelmäßig das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19 für sich fruchtbar machen und auf diesem Weg versuchen, die Abfindungssumme zu drücken.
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer war vom beklagten Arbeitgeber Ende Januar 2013 außerordentlich und fristlos gekündigt worden. Nachdem im November 2015 rechtskräftig die Unwirksamkeit dieser Kündigung festgestellt worden ist, begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit ab Februar 2013 unter Anrechnung bezogenen Arbeitslosengeldes und Arbeitslosengeldes II. Die Beklagte erhebt hiergegen den Einwand, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitig Verdienst zu erzielen und fordert mit einer Widerklage Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter dem Kläger während des Annahmeverzugszeitraums übermittelten Stellenangebote. Über diese Widerklage wurde separat per Teilurteil entschieden. Wie die Vorinstanzen auch sprach das Bundesarbeitsgericht – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – dem Arbeitgeber einen entsprechenden Auskunftsanspruch zu.
Urteilsgründe
Der Anspruch der Beklagten auf Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitsort und Vergütung ergibt sich aus einer Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 242 BGB. Die Anrechnung anderweitig erzielten oder böswillig unterlassenen Verdienstes erfolgt kraft Gesetzes und hindert bereits teilweise die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs. Die beklagte Arbeitgeberin benötigt die begehrten Auskünfte, um von dieser Einwendung Gebrauch machen und so die Zahlungsansprüche des Klägers abwehren zu können. Dem Arbeitgeber ist es ohne einen solchen Auskunftsanspruch regelmäßig nicht möglich, darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst während des Annahmeverzugs erzielte und erst recht nicht, dass der Arbeitnehmer anderweitigen Erwerb böswillig nicht erzielte. Schützenswerte Interessen an der Geheimhaltung der übermittelten Vermittlungsvorschläge stehen der Auskunftserteilung nicht entgegen.
Zugleich stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass ein gekündigter Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich arbeitslos zu melden, wenn er sich nicht den Vorwurf böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes aussetzen will.
Praxistipp
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wirft viele spannende Folgefragen auf. Denn es darf nicht übersehen werden, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichts nur die Frage zum Gegenstand hat, ob ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, Auskunft über unterbreitete Vermittlungsvorschläge zu geben.
Zu den Folgefragen, nämlich unter welchen Umständen der Arbeitnehmer vermittelte Arbeitsstellen auch tatsächlich annehmen muss und wann solche Vermittlungsvorschläge nicht zumutbar sind sowie welche Partei hierzu welchen Sachvortrag prozessual darlegen und beweisen muss, äußert sich das Bundesarbeitsgericht nicht.
Arbeitgebern ist jedenfalls zu raten, zukünftig bereits im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses den gekündigten Arbeitnehmer zur Vorlage von Vermittlungsvorschlägen aufzufordern. Solange die Auskunft nicht bzw. nicht vollständig erteilt wird, kann der Arbeitgeber die Zahlung des Annahmeverzugslohns verweigern. Eine auf Zahlung des Annahmeverzugslohns gerichtete Klage des Arbeitnehmers wäre als zurzeit unbegründet abzuweisen (BAG, Urt. v. 24.8.1999 – 9 AZR 804/98). Dieser Umstand sollte fortan zum Standardrepertoire im Rahmen von Vergleichsverhandlungen gehören.
Arbeitnehmer sollten sich nach einer Kündigung auf jeden Fall arbeitslos melden und alle Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und/oder des Jobcenters aufheben. Um keine unnötige Angriffsfläche zu bieten, müssen sich Arbeitnehmer auf alle zumutbaren Arbeitsstelen bewerben. Die entsprechenden Bewerbungsanschreiben sollten ebenso aufgehoben werden, wie eventuelle Einladungen zu Vorstellungsgesprächen sowie Absagen. Denn eine entsprechende gerichtsfeste Dokumentation der Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz dürfte zukünftig erforderlich sei , um nach einem gewonnen Kündigungsschutzprozess die aufgelaufenen Gehälter erfolgreich einklagen zu können und sich nicht dem Vorwurf des böswilligen Unterlassens auszusetzen.