Bei unwirksamer Kündigung gegen einen Schwerbehinderten auch noch Schadensersatz?
Die Nichtbeachtung des Sonderkündigungsschutzes eines schwerbehinderten Mitarbeiters gem. § 168 SGB IX kann dem Arbeitgeber abgesehen von der Unwirksamkeit der Kündigung teuer zu stehen kommen.
Sachverhalt:
Die Beklagte kündigte das mit dem schwerbehinderten Kläger bestehende Arbeitsverhältnis ohne vorherige Beteiligung des Integrationsamts. Der Kläger forderte von der Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von mindestens drei Bruttomonatsgehältern, da die Kündigung wegen seiner Schwerbehinderung ausgesprochen worden sei. Die Beklagte trägt vor, sie habe ausschließlich aus betriebsbedingten Gründen gekündigt und im Rahmen der Sozialauswahl die Schwerbehinderung des Klägers „schlichtweg übersehen“.
Entscheidung des LAG Baden-Württemberg:
Das LAG erkennt dem Kläger einen Entschädigungsanspruch in Höhe von vier Monatsgehältern zu.
Die Beklagte habe den Kläger entgegen den Vorgaben des AGG sowie des SGB IX unmittelbar wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Dieser sei dadurch, dass er von der Beklagten ohne Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt wurde, wegen seiner (Schwer-)Behinderung benachteiligt worden; denn er habe eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Dabei könne die Benachteiligung statt in einem aktiven Tun auch in einem Unterlassen bestehen. Der Kläger habe seiner Darlegungslast bereits genügt, wenn er Indizien vorträgt, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Der Verstoß des Arbeitgebers gegen § 168 SGB IX begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung. Auf ein schuldhaftes Verhalten oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an. Die Vermutung genügt gem. § 22 AGG, dass die Beklagte Tatsachen vortragen und beweisen muss, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu der Kündigung geführt haben. Seitens des Klägers muss nur der „Anschein einer Diskriminierung“ erweckt werden.
Aus der Nichtbeachtung der Schwerbehinderung folgt noch ein weiterer Verstoß gegen eine den Kläger als schwerbehinderten Menschen schützende Norm, da die Beklagte sich auf eine betriebsbedingte Kündigung berief:
Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG wäre bei der Sozialauswahl unter anderem die Schwerbehinderung ausreichend zu berücksichtigen gewesen.
Praxishinweis:
Auch bei schwangeren Mitarbeiterinnen kann sich eine ähnliche Interessenlage ergeben. Im Rahmen des § 1 AGG handelt es sich hierbei um eine Diskriminierung wegen des Geschlechts.
Sonderkündigungsschutz für Personen, die gleichzeitig vor Benachteiligungen wegen § 1 AGG geschützt sind, ist doppelt wichtig, da neben der Unwirksamkeit der Kündigung und damit verbundenen Kosten zusätzlich noch ein Entschädigungsverlangen seitens des Mitarbeiters droht.