23.01.2022

Fristlose Kündigung? – dann aber nicht trödeln…

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des tariflich unkündbaren Klägers. Der Kläger (Vertriebsleiter) war einer von bis zu 89 betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, gegen die im Juli 2018 umfangreiche Compliance-Untersuchungen eingeleitet wurden. Diese Untersuchungen wurden geleitet vom Leiter des „Legal & Compliance Departments“. Im Oktober 2018 wurde zudem eine externe Kanzlei mit weitergehenden Untersuchungen beauftragt. Im Juni 2019 wurden die Untersuchungen unterbrochen und das Compliance-Team verfasste einen Zwischenbericht. Die Kanzlei fertigte bis zum 16.9.2019 ebenfalls einen solchen Bericht. Beide Berichte wurden der Geschäftsführung am 16.9.2019 übergeben. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 27.9.2019 außerordentlich, der Kläger erhob Kündigungsschutzklage.

Entscheidung:

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und erkannt, dass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 II BGB abgelaufen war. Grundsätzlich komme es zwar für den Beginn der zweiwöchigen Frist auf die Kenntnis des kündigungsberechtigten Geschäftsführers der Beklagten an; allerdings müsse sich dieser die Kenntnis des Leiters des Compliance-Teams zurechnen lassen. Dieser habe spätestens im Juni 2019, als er den Zwischenbericht verfasste, hinreichend gesicherte Kenntnis von möglichen Kündigungsgründen gehabt. Der Geschäftsführer habe die Pflicht gehabt, sich regelmäßig über den Stand der Ermittlungen berichten zu lassen, um zeitnah über mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen entscheiden zu können. Dieser habe jedoch die Ermittlungen vollständig aus der Hand gegeben, ohne sich regelmäßig über relevante Zwischenstände informieren zu lassen. Aufgrund dieses Organisationsverschuldens müsse er sich zurechnen lassen, dass der Leiter des Compliance-Teams ihn erst im September 2019, mithin verspätet informierte. Zudem könne auch die Tatsache, dass gegen zuletzt noch 17 verdächtige Mitarbeiter umfangreiche Ermittlungen geführt wurden, nicht dazu führen, dass die Kündigungserklärungsfrist „grenzenlos verschoben“ werde. Die jeweilige Erklärungsfrist beginne individuell für jeden betroffenen Kollegen ab hinreichender Kenntnis von möglichen Kündigungsgründen zu laufen, auch wenn ggf. bezüglich anderer Kolleginnen und Kollegen noch ermittelt werde.

Praxishinweis:

Sobald ein Sachverhalt im Raum steht, der möglicherweise ein außerordentliche fristlose Kündigung nach sich ziehen könnte, ist Eile geboten. Aufbauend auf der ständigen BAG-Rechtsprechung hat sich das LAG Baden-Württemberg hier erfreulich klar und ausgehend von Sinn und Zweck der 2-wöchigen Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB zu deren Beginn geäußert. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er dieses konkrete Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht.

Dabei muss sich der Kündigungsberechtigte die Kenntnis einer nicht kündigungsberechtigten Person für den Fristbeginn zurechnen lassen, wenn diese Person eine herausgehobene Position im Betrieb innehat, und wenn die Verspätung, mit der der Kündigungsberechtigte in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs beruht.

Fristlose Kündigungen sind Chefsache – und die zugehörigen Sachverhalte auch! Wird die Ermittlung kündigungsrelevanter Vorkommnisse delegiert, muss der Arbeitgeber die Zurechnung von Wissen anderer wesentlicher Beteiligter hinsichtlich des Beginns der Kündigungserklärungsfrist einkalkulieren.