Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage?
Leitsätze des BAG, Urteil vom 09.11.2021 – 1 AZR 206/20
1. Die Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage bedarf besonderer Umstände.
2. Besondere Umstände ergeben sich nicht bereits aus der unwirksamen Betriebsvereinbarung selbst. Es müssen vielmehr außerhalb der Betriebsvereinbarung liegende Umstände vorhanden sein, die den Rückschluss auf einen entsprechenden Bindungswillen zulassen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Jahresprämie für das Jahr 2018. Bei der beklagten Arbeitgeberin bestehen zwei Betriebe mit jeweils einem Betriebsrat sowie ein Gesamtbetriebsrat. Die Beklagte schloss im Jahr 2007 mit den beiden örtlichen Betriebsräten eine Betriebsvereinbarung „Einkommen“ ab, welche u.a. die Zahlung einer Jahresprämie vorsah. Die Höhe der Jahresprämie richtete sich maßgeblich nach dem Unternehmenserfolg. Ein Betriebsbezug der Jahresprämie war nicht vorhanden.
Nachdem das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Eigenkündigung im November 2018 endete, erhielt der Kläger keine Jahresprämie für das Jahr 2018 mehr. Hiergegen erhob er Stufenklage, gerichtet auf Auskunft über das Geschäftsergebnis sowie Zahlung der sich daraus ergebenden Jahresprämie. Das LAG lehnte den Anspruch aufgrund einer Stichtagsregelung in der Betriebsvereinbarung „Einkommen“ ab. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidung
Das BAG wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück.
Anders als das LAG sieht das BAG den Prämienanspruch als nicht/nie entstanden an. Die von der Beklagten abgeschlossene Betriebsvereinbarung „Einkommen“ sei unwirksam. Den örtlichen Betriebsräten fehlte es an der erforderlichen Regelungskompetenz. Aufgrund der unternehmensbezogenen Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung wäre der Gesamtbetriebsrat zuständig gewesen.
Eine andere Anspruchsgrundlage bestand nach Ansicht des BAG nicht. Insbesondere kam eine Umdeutung nach § 140 BGB in eine Gesamtzusage nicht in Betracht. Eine solche sei nur möglich, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, die Beklagte hätte sich unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall binden wollen. Solche Umstände lagen nicht vor. Insbesondere konnte die unwirksame Betriebsvereinbarung nicht zur Begründung eines entsprechenden Rechtsbindungswillens der Beklagten herangezogen werden. Zu berücksichtigen sei, dass sich die Beklagte von einer Betriebsvereinbarung jederzeit durch Kündigung nach § 77 V BetrVG lösen könne, von einer Gesamtzusage hingegen nur durch Vereinbarung mit dem einzelnen Arbeitnehmer oder durch entsprechende Änderungskündigung.
Das BAG verneinte zudem einen Anspruch aus betrieblicher Übung, da sich die Beklagte irrtümlich durch die unwirksame Betriebsvereinbarung zur Leistungserbringung verpflichtetet sah. In einem solchen Fall könne der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass ihm die Leistung auf Dauer – unabhängig von der Rechtspflicht – gewährt werden soll.
Praxishinweis
Das Urteil des BAG verfolgt konsequent die Rechtsprechung des BAG weiter. Dabei betonte das BAG stets, dass besondere Umstände des Einzelfalles notwendig sind, um den Rechtsbindungswillen zu bejahen, der für die Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage notwendig ist. Diese besonderen Umstände lassen sich gerade nicht aus der gescheiterten Betriebsvereinbarung ableiten, wie das BAG zu Recht meint.
Das ist praxisgerecht, denn ein Arbeitgeber, der Leistungen im Wege einer Betriebsvereinbarung zusagt, wird diese nicht zwangsläufig zu denselben Konditionen auch als Gesamtzusage gewähren wollen.