06.05.2022

BAG: Bestätigung der Regelung zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess

Sachverhalt:
Der Kläger, welcher als Auslieferungsfahrer für Lebensmittel bei der Beklagten beschäftigt war, verlangte mit seiner Klage Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 Euro brutto. Zur Begründung machte der Kläger geltend, die gesamte, mittels technischer Zeitaufzeichnung erfasste Zeit gearbeitet zu haben. Pausen zu nehmen, sei hingegen nicht möglich gewesen, da sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten. Die Erfassung der Arbeitszeit nahm der Kläger selbst vor, wobei nur zu Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeit aufgezeichnet wurde. Das Arbeitsgericht Emden gab der Klage zunächst statt. Zur Begründung wurde das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Mai 2019 – Az. C-55/18 –[CCOO] angeführt, wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten durch ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ aufzuzeichnen. Das Arbeitsgericht Emden meinte, dass durch dieses Urteil die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert werde.

Das Arbeitsgericht Emden vertrat in seiner Begründung die Auffassung, dass die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung jedenfalls dann nicht erforderlich sei, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Insoweit sei es für eine schlüssige Begründung der Klage ausreichend, wenn der Kläger die Zahl der geleisteten Überstunden vorträgt. Bis zu diesem Urteil wurde allgemein angenommen, dass der Arbeitnehmer neben der tatsächlichen Ableistung der Überstunden, deren Anordnung, Duldung oder nachträgliche Billigung des Arbeitgebers zu beweisen hat.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat das Urteil des Arbeitsgerichts Emden abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtete sich die Revision des Klägers.

Entscheidung des BAG:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) schloss sich in seiner Entscheidung der Auffassung des Landesarbeitsgerichts an. Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg und wurde abgewiesen.
Das Urteil des EuGH vom 14.05.2019 ändere gerade nichts an den Grundsätzen du der Darlegungs- und Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen. Von den Erfordernissen der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer ist vor dem Hintergrund der besagten Entscheidung des EuGH nicht abzurücken. Dieses ist zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen.
Diese Bestimmungen beschränken sich jedoch darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Eine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer finden sie somit grundsätzlich keine Anwendung.

Praxishinweis:
Damit stellt das BAG fest, dass das EuGH Urteil keine Auswirkung auf die im deutschen Recht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess hat. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden darzulegen ist, dass Überstunden durch den Arbeitnehmer abgeleistet wurden oder sich dieser auf Weisung des Arbeitgebers zur Ableistung solcher bereitgehalten hat. Zudem ist vorzutragen, dass die geleistete Mehrarbeit durch den Arbeitgeber ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt wurde.