08.09.2022

BAG: Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Compliance Untersuchung

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen und einer hilfsweise außerordentlich mit Auslauffrist erklärten Kündigung.

Die Beklagte ist als Unternehmen in den Bereichen Verteidigung und Raumfahrt tätig und war mehrfach Auftragnehmerin der Bundeswehr bzw. des Bundesverteidigungsministeriums. Der Kläger war bei der Beklagten bzw. bei deren Rechtsvorgängerin seit September 1996, zuletzt als Vertriebsleiter Defence, beschäftigt.

Nachdem die bei der Beklagten gebildete Compliance-Abteilung einen Hinweis erhalten hat, dass Mitarbeitern des Unternehmens geheimhaltungspflichtige Dokumente des Bundesverteidigungsministeriums vorlägen, beauftragte die Beklagte im Oktober 2018 eine Rechtsanwaltskanzlei mit einer unternehmensinternen Untersuchung zur vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes. Am 27. Juni 2019 entschied das dafür gebildete Compliance-Team der Beklagten, die interne Untersuchung zu unterbrechen, um der Geschäftsführung mittels Zwischenberichts die bisherigen Untersuchungsergebnisse aufzubereiten. Hierdurch sollte die Geschäftsführung in die Lage versetzt werden, über weitere, gegebenenfalls auch arbeitsrechtliche Maßnahmen zu entscheiden. In dem am 16. September 2019 – nach 11 Monaten Ermittlungsarbeit – der Geschäftsführung übergebenen Zwischenbericht, wurden die ermittelten Pflichtverletzungen des Klägers sowie weiterer 88 Personen zusammengefasst.

Nach Anhörung des Betriebsrates kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos mit Schreiben vom 27.09.2019. Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem Arbeitsgericht. In seiner Klage machte er die Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend. Der Compliance-Abteilung seien sämtliche Vorwürfe gegen den Kläger schon seit Monaten bekannt gewesen, da diese durch die beauftragte Rechtsanwaltskanzlei regelmäßig über den Stand der Untersuchung unterrichtet wurde. Dies müsse sich die Beklagte zurechnen lassen.

Das von dem Kläger angerufene Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wies die Berufung zurück.

Entscheidung des BAG

In seinem Urteil vom 05.05.2022 Az. 2 AZR 483/21 hat das BAG die Entscheidung des LAG aufgehoben und an dieses, zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen.

Es geht davon aus, dass die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BAG eingehalten worden war. Für die Zwei-Wochen-Frist komme es ausschließlich auf die Kenntnis der (kündigungsberechtigten) Geschäftsführer oder anderer kündigungsberechtigter Instanzen der Beklagten an. Nicht dagegen auf die Kenntnis des nicht-kündigungsberechtigten Compliance-Teams oder des Leiters der Compliance-Abteilung. Erst durch den Zwischenbericht sind der Geschäftsführung alle Tatsachen ausführlich zur Kenntnis gebracht worden, so dass eine Bewertung der Pflichtverletzung und der involvierten Personen möglich war. Die Beklagte habe nach Ansicht des BAG auch keine rechtsmissbräuchliche Verzögerung der Kenntnisnahme gem. § 242 BGB herbeigeführt.

Für die Praxis

Das BAG betont in seiner Entscheidung insbesondere folgende, für die betriebliche Praxis bedeutenden Punkte:

Zum einen ist das Kündigungsrecht des § 626 BGB grundsätzlich nicht verwirkt, solange eine Compliance – Untersuchung läuft, auch wenn sich diese gegen eine Vielzahl von potenziellen Betroffenen richtet und aus diesem Grund einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nimmt.

Nichtsdestotrotz ist es ist in der Praxis nicht unüblich, dass die Aufklärung komplexer Sachverhalte – wie er der vorliegenden Entscheidung zugrunde lag – auch bei zügiger Ermittlung mehrere Monate und ohne weiteres ein halbes Jahr oder gar mehr dauern kann.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für einfach überschaubare Sachverhalte können hierauf nicht übertragen werden.

Zudem liegt es grundsätzlich im Ermessen einer Compliance-Abteilung, wann diese die Ermittlungen für abgeschlossen erachtet und die Geschäftsführung bzw. andere kündigungsberechtigte Organe / Personen hierüber informiert.

Gleichzeitig betont das BAG allerdings, dass sich der Arbeitgeber nicht auf das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben berufen kann, wenn er selbst „es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt, oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt“ – amtl. Leitsatz des BAG.

Demnach verhält sich der Arbeitgeber treuwidrig, wenn er eine Compliance Untersuchung beliebig ausdehnt, um sich dann auf die Wahrung der Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berufen. Davon sei etwa dann auszugehen, wenn durch die Ermittlungen nur noch unternehmensbezogene (Präventions-)Ziele verfolgt werden und damit grundsätzlich nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen dienen.