BAG: Berücksichtigung von Urlaubsstunden bei Mehrarbeitszuschlägen
Sachverhalt
Der Kläger war bei der Beklagten im Jahr 2017 als Leiharbeitnehmer in Vollzeit mit einem Bruttostundenlohn von 12,18 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit (im Folgenden: MTV) Anwendung.
Dessen § 4 des MTV lautete auszugsweise wie folgt:
„4.1. Mehrarbeit
4.1.1. Mehrarbeit ist die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit.
4.1.2. Mehrarbeitszuschläge werden für Zeiten gezahlt, die in Monaten mit
– 20 Arbeitstagen über 160 geleistete Stunden
– 21 Arbeitstagen über 168 geleistete Stunden
– 22 Arbeitstagen über 176 geleistete Stunden
– 23 Arbeitstagen über 184 geleistete Stunden
Hinausgehen.
Der Mehrarbeitszuschlag beträgt 25 Prozent. …“
Im Monat August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Kläger 121,75 Stunden und nahm zehn Tage Erholungsurlaub. Dieser wurde von der Beklagten mit 84,7 Stunden abgerechnet. Einen Mehrarbeitszuschlag erhielt der Kläger für diesen Monat nicht.
Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht Dortmund und in der anschließenden Berufung vor dem LAG Hamm macht der Kläger Mehrarbeitszuschläge, für die über 184 Stunden hinausgehenden Stunden geltend und begründet dies damit, dass die für den Urlaub abgerechneten Stunden mit einzubeziehen seien – maßgeblich seien danach insgesamt 206,45 Monatsstunden.
Die Vorinstanzen, d.h. sowohl ArbG als auch LAG wiesen die Klage ab.
Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des vorliegend entscheidenden Zehnten Senats des BAG beim EuGH hatte letzterer entschieden, dass einer tariflichen Regelung wie sie in dem vorliegenden Fall zugrunde liegt Unionsrecht entgegenstehe.
Der EuGH führt hierzu aus, dass hierin ist ein Anreiz für den Arbeitnehmer zu sehen sei, auf seinen ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub in jenem Monat zu verzichten in dem er Mehrarbeit geleistet hat, um so den Schwellenwert von 148 Arbeitsstunden zu überschreiten und in den Genuss eines Mehrarbeit-Zuschlages zu gelangen. In einem solchen Urlaubs-Verzicht erblickt der EuGH die Gefahr, dass der Arbeitnehmer die Inanspruchnahme des ihm zustehenden Erholungsurlaubs, den er zur Erhaltung seiner Gesundheit benötigt, aufgibt.
Durch dieses vom EuGH Anfang des Jahres erlassenen arbeitsrechtlichen Urteil, wurden die Rechte von Arbeitnehmer, die Mehrarbeit leisten, bereits erheblich gestärkt.
Entscheidung
Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung hat nun die Revision des Klägers vor dem Zehnten Senat des BAG Erfolg. Die tarifliche Regelung des § 4.1.2 MTV muss bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden bei der Frage zu berücksichtigen sind, ob der Schwellenwert, ab dem solche Zuschläge zu zahlen sind, überschritten wurde.
Andernfalls wäre die Regelung geeignet, den Arbeitnehmer von der Inanspruchnahme seines gesetzlichen Mindesturlaubs abzuhalten, was mit § 1 BUrlG in seinem unionsrechtskonformen Verständnis nicht vereinbar wäre.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist zwar im Zusammenhang mit dem MTV ergangen, die hierin angesprochene Problematik beschränkt sich aber bei weitem nicht auf tariflich gebundene Teilzeit- oder Leiharbeitnehmer. Die in der Entscheidung des EuGH angesprochene und durch das BAG umgesetzte Problematik besitzt vielmehr unmittelbare Relevanz für alle Arbeitsverhältnisse und hat grundsätzliche Bedeutung für die Ausgestaltung der arbeitgeberseitigen Mehrarbeitsvergütung sowie für das Urlaubsrecht.