20.06.2023

„Equal Pay“ trotz unterschiedlichem Stundenlohn?!

„Equal pay“ beinhaltet den Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben. Ob dennoch an Leiharbeitnehmer ein anderer Tarifstundensatz gezahlt werden kann als an Bestandsmitarbeiter, klärte unlängst der EuGH auf Vorlagefrage des BAG mit Urteil vom 15.12.2022 – C-311/21. Nunmehr hatte das BAG auf dieser Grundlage seinen Ausgangsfall zu entscheiden.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung der Leiharbeitnehmer („equal pay“) für Monate Januar bis April 2017. Die Klägerin war aufgrund eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin in Teilzeit beschäftigt. Von Januar bis April 2017 war sie hauptsächlich einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen und verdiente zuletzt 9,23 EUR brutto/Stunde. Nach den Behauptungen der Klägerin hatten vergleichbare Stammarbeitnehmer einen Stundenlohn von 13,64 EUR brutto. Unter Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 I AÜG (§ 10 IV 1 AÜG a.F.) macht die Klägerin eine Differenzvergütung von 1.296,72 EUR brutto geltend. Nach ihrer Auffassung ist das auf ihr Leiharbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findende Vertragswerk von iGZ und ver.di mit Art. 5 III RL 2008/104/EG und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar. ArbG und LAG wiesen die Klage ab.

Urteil:

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG hat die Klägerin keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers. Die Beklagte ist aufgrund des wegen beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di nach § 8 II 2 AÜG nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Arbeitnehmer genüge das Tarifwerk den Anforderungen des Art. 5 III RL 2008/101/EG. Die durch eine geringere Vergütung als Stammarbeitnehmer bedingte Schlechterstellung lasse Art. 5 III RL 2008/100/EG ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolge. Dazu müssen nach Auffassung des EuGH Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil könne sowohl bei unbefristeten als auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Das einschlägige Tarifwerk gewährleiste die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten. Außerdem habe der deutsche Gesetzgeber mit § 11 IV 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 S. 1 BGB im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden könne. Darüber hinaus dürfe die Vergütung von Leiharbeitnehmern die staatlich festgesetzten Lohnuntergrenzen oder den gesetzlichen Mindestlohn nicht unterschreiten. Schließlich sei die Möglichkeit zur Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts zeitlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.

Praxistipp:

„Equal pay“ ist folglich nicht im engen Sinne eines Stundenlohns, sondern in einer Gesamtbetrachtung zu verstehen. Dies ermöglicht den Tarifvertragsparteien größere Spielräume, birgt aber auch Bewertungsunsicherheiten. Festgehalten werden kann jedoch, dass ein Tarifvertrag, der eine Vergütungsfortzahlung auch für solche Zeiten vorsieht, in denen eine Verleihung des Leiharbeitnehmers nicht stattfindet, einen wesentlichen Beitrag für einen Gesamtschutz des Leiharbeitnehmers leistet.