Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Sachverhalt
Die Parteien streiten vor dem 5. Senat des BAG noch über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dabei insbesondere über den Beweiswert der vom Kläger eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Dem geht folgender Sachverhalt voraus: Der Kläger war in der Zeit vom 16.01.2020 bis 30.09.2020 bei der Beklagten, die Personalvermittlung und -verleih betreibt, als technischer Sachbearbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Kündigung der Beklagten vom 01.09.2020, dem Kläger zugegangen am 02.09.2020 zum 30.09.2020. Unstreitig hat der Kläger nach Ausspruch der Kündigung noch bis zum 04.09.2020 für die Beklagte in einem Entleihbetrieb gearbeitet. Für den Zeitraum vom 07.09.2020 bis zum 30.09.2020 legte der Kläger insgesamt zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) über den Bestand bzw. Fortbestand seiner Arbeitsunfähigkeit vor; eine Erstbescheinigung vom 07.09.2020 bis 20.09.2020 und eine Folgebescheinigung vom 21.09.2020 bis zum 30.09.2020.
Die Beklagte zahlte für den September 2020 weder Arbeitsvergütung noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und begründete dies damit, dass der Beweiswert der für die Zeit ab 07.09.2020 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei. Die vorgelegten AUB’s seien durch den ausstellenden Arzt nicht entsprechend der Vorgaben der „Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie“ ausgestellt worden. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestehe daher nicht. Im Laufe des Verfahrens legte der Kläger unaufgefordert die jeweilige Ausfertigung der AUB zur Akte, aus welcher die arbeitsunfähigkeitsbegründenden Diagnosen zu entnehmen sind. Diese Ausfertigung verbleibt aufgrund der sensiblen und höchstpersönlichen (Gesundheits-)Daten in aller Regel bei dem jeweils Versicherten.
Entscheidung
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt. Die hiergegen durch die Beklagte eingelegte Revision wurde durch das BAG zurückgewiesen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat ein Arbeitnehmer für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bis zu einer Dauer von sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
Da der hierin enthaltene Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Arbeitnehmer günstig ist, trägt dieser nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs.1 Satz 1 EFZG. Dieser Beweis wird in aller Regel durch die Vorlage einer ärztlichen AUB iSd § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Dem ist der Kläger nach Ansicht des BAG hinreichend nachgekommen. Auch der Vortrag der Beklagten und der von dieser gerügte Verstoß gegen einzelne Vorgaben der „Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie“ waren nicht dazu geeignet, den Beweiswert der durch den Kläger vorgelegten AUB’s zu erschüttern.
Praxishinweis
Die Frage der Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist regelmäßig Thema im Arbeitsrecht. Das Urteil enthält hier wenig neues, trotzdem sollten die Grundsätze im Zusammenhang mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen immer mal wieder ins Gedächtnis gerufen werden, um hier einen sicheren Umgang zu erzielen.
Sofern nicht durch Gesetz eine bestimmte Beweislastverteilung vorgesehen ist, muss grundsätzlich derjenige, der sich auf eine ihm günstigere Norm beruft, das Vorliegen deren Voraussetzungen darlegen und diese im Streitfall beweisen. Macht also ein erkrankter Arbeitnehmer im Krankheitsfall Entgeltfortzahlung geltend und beruft sich demnach auf die für ihn günstige Norm des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, muss er seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber seinem Arbeitgeber nach- bzw. beweisen. In aller Regel erbringt er diesen Nachweis durch die Vorlage eines ärztlichen Attests, der sog. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Da dieser Bescheinigung kein absoluter Beweiswert zukommt, kann dieser seitens des Arbeitgebers erschüttert werden sofern begründete Zweifel am Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Es ist dann Aufgabe des Arbeitgebers die zur Erschütterung des Beweiswerts führenden Umstände substantiiert aufzuzeigen und Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben. Beispielhaft sind insbesondere folgende Punkte anzuführen:
- Der Arbeitnehmer zeigt ein Verhalten, welches im Widerspruch zu einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit steht.
- Der Arbeitnehmer kündigt sein „Fernbleiben“ nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber oder einer verwehrten Urlaubsgewährung für konkreten Zeitraum an und ist in diesem auch krank „sog. Krankfeiern“.
- Der Arbeitnehmer meldet sich zusammen mit dem Ausspruch einer Eigenkündigung krank; Krankmeldung erfolgt passgenau für die verbleibende Kündigungsfrist.
- Die Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung durch den Arzt erfolgt ohne vorhergehende Untersuchung des Arbeitnehmers.
- Der Arbeitnehmer ist häufig um Urlaub oder Feiertage krank.
Auch wenn in den vorgenannten Beispielen regelmäßig von einer Erschütterung des Beweiswertes ausgegangen werden kann, kommt man in der Praxis trotzdem nicht umher eine rechtliche Betrachtung des konkreten Einzelfalles unter Würdigung der Gesamtumstände vorzunehmen. Im Verdachtsfall haben Arbeitgeber daher sorgfältig zu prüfen, ob Tatsachen vorliegen, die dazu geeignet sind, die Beweiswirkung der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.