04.08.2022

Urlaubsrecht zur Urlaubszeit

Zeitlich passend zur Sommerurlaubszeit äußert sich das BAG zur Reihenfolge der Gewährung von Urlaubsansprüchen (Urteil vom 01.03.2022 – 9 AZR 353/21).

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus dem Jahr 2016. Der Kläger war bei der Beklagten von 1976 bis zum 31.08.2020 tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Manteltarifvertrag Anwendung, der eigenständige Regelungen zum Umfang und zur Abgeltung von Urlaubstagen enthielt. Für das Kalenderjahr 2016 gewährte die Beklagte dem Kläger insgesamt 26 Tage Urlaub, ohne eine Tilgungsbestimmung vorzunehmen, ohne also mitzuteilen, welche Tage davon auf den gesetzlichen Mindesturlaub und welche auf sonstigen Urlaub gegeben wurden. Vom 08.09.2016 bis 30.06.2017 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Ab dem 01.07.2017 war er aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung von der Arbeitsleistung freigestellt. Der Kläger verlangt Abgeltung von 5 Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus 2016, da die Beklagte keine Tilgungsbestimmung vorgenommen habe.

Urteil:

Nach Auffassung des BAG hat der Kläger keinen Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubs von 5 Tagen für schwerbehinderte Menschen. Dem Kläger hätten für 2016 insgesamt 37 Urlaubstage zugestanden. Dieser Gesamturlaub setze sich aus 32 Tagen Tarifurlaub und 5 Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderten Menschen zusammen. Der Zusatzurlaub für schwerbehinderten Menschen sei jedoch durch Erfüllung erloschen (§ 362 I BGB). Auf die Erfüllung von Erholungsurlaubsansprüchen eines Kalenderjahres, die auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen beruhen und für die unterschiedliche Regelungen gelten, finde § 366 BGB Anwendung. Das bedeutet, der Arbeitgeber darf grundsätzlich festlegen, auf welchen Urlaubsanspruch er leistet.

Gibt der Arbeitgeber – wie in der Praxis üblich – keine Erklärung zur Urlaubsgewährung ab, wird die Tilgungsreihenfolge des § 366 II BGB durch den hypothetischen Parteiwillen ersetzt. Im Verhältnis von tariflichen Mehrurlaubsansprüchen und gesetzlichem Mindesturlaub finde § 366 BGB entsprechend Anwendung, im Verhältnis des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen und sonstigen Erholungsurlaubsansprüchen finde § 366 BGB unmittelbar Anwendung. Allerdings sei die in § 366 II BGB vorgegebene Tilgungsreihenfolge unter Berücksichtigung der Besonderheiten des gesetzlichen Mindesturlaubs unter Vermeidung systemwidriger Ergebnisse zu modifizieren. Gewähre ein Arbeitgeber Erholungsurlaub, ohne eine Tilgungsbestimmung vorzunehmen, werden nach Auffassung des BAG zuerst die gesetzlichen Urlaubsansprüche getilgt. Daher habe die Beklagte durch Gewährung von 26 Urlaubstagen den gesetzlichen Mindesturlaub und den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen vollständig erfüllt.

Praxistipp:

Sicherlich wird auch künftig kein Arbeitgeber mit Bewilligung des Urlaubs eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung abgeben. Arbeitsverträge, die – wie die aus unserer Beratung – bereits bisher bestimmt haben, dass zuerst der gesetzliche Mindesturlaub und erst danach weiterer Urlaub erfüllt wird, wurden nunmehr bestätigt. Eine Differenzierung von gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub bleibt jedoch auch weiterhin für den Arbeitgeber sinnvoll, kann doch davon abgesehen werden, die zum Teil strengen Anforderungen, die für den Mindesturlaub gelten, auch auf darüber hinaus gewährten Urlaub zu erstrecken.

In diesem Sinne: schönen Urlaub.

Zuletzt noch in eigener Sache: Unsere Kanzlei ist natürlich auch während der Urlaubszeit durchgehend besetzt. Wir freuen uns auf Ihre Anfragen.