BAG – Außerordentliche Kündigung wegen ernsthafter Bedrohung
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Kläger war bei der Beklagten seit Mai 1998 als Busfahrer beschäftigt. Zwischen den Parteien war streitig, ob der Personaldisponent der Beklagten und dessen Familie in einem Gespräch am 12.02.2020 mit dem Kläger durch diesen mit den Worten „Ihr Ochsen, wenn ich noch einmal einen von Euch vor meiner Haustür oder meinem Briefkasten sehe, werde ich Euch schlagen, dann kann nicht mal die Polizei Euch helfen.“ und „Ochse, Du musst in Zukunft auf Dich und Deine Familie achten.“ bedroht wurden.
In der Absicht, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen, hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 24.02.2020 an. Dabei gab die Beklagte versehentlich an, der Kläger sei ledig und kinderlos. Dem Gremium des Betriebsrates war dabei bekannt, dass der Kläger verheiratet ist und ein Kind hat. Am 25.02.2020 widersprach der Betriebsrat in einer ausdrücklich als „abschließend“ bezeichneten Stellungnahme den beabsichtigten Kündigungen. Dabei wies der Betriebsrat als Begründung unter anderem auf die Unterhaltspflichten des Klägers hin. Mit Schreiben vom 26.02.2020, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich. Zudem erklärte sie mit Schreiben vom 29.04.2020 – nach erneuter Anhörung des Betriebsrates – eine weitere ordentliche Kündigung.
Der Kläger erhob rechtzeitig Kündigungsschutzklage und wandte sich gegen alle drei Kündigungen. Sowohl die Klage vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach als auch die angestrebte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Auch die gegen die erfolglose Berufung eingelegte Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner Entscheidung bestätigt das BAG am 28.02.2023 die Vorinstanzen.
Nach Ansicht des BAG hat die fristlose Kündigung vom 26.02.2020 das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang beim Kläger aufgelöst. Eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben u.a. von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten, kommt „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, sofern hierfür kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift. Die Würdigung des LAG sei danach frei von Rechtsfehlern, wonach keine Zweifel an den Feststellungen des ArbG zum tatsächlichen Vorliegen der Drohung bestünden.
Die außerordentliche Kündigung sei auch nicht entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen unzureichender Beteiligung des Betriebsrates unwirksam gewesen. Die Anhörung des Betriebsrates ist nicht schon deshalb mangelhaft, weil die Beklagte in dem Anhörungsschreiben die Unterhaltspflichten des Klägers unzutreffend angegeben hat. Die Falschangabe zu den Unterhaltspflichten des Klägers erfolgte lediglich versehentlich. Es fehle an einer bewusst unrichtigen oder irreführenden Unterrichtung über die Person des Klägers, die schon für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen könnte.
Zudem war dem Betriebsrat der Familienstand des Klägers sowie dessen Unterhaltspflicht für ein Kind ohne das Erfordernis eigener Nachforschungen zuverlässig bekannt, so dass es nicht zu Verunsicherungen des Betriebsrates kam. Der Betriebsrat hat ausdrücklich eine „abschließende“ Stellungnahme abgegeben. Somit wurde dem Betriebsrat durch die Falschangabe auch kein Einwand abgeschnitten.
Praxishinweis
Mit seiner Revision wendet sich der Kläger zwar nicht gegen die Annahme des LAG, der Kläger sei nicht an einen „Lügendetektor“ (polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentestes) anzuschließen gewesen. Trotzdem befasst sich das BAG erstmals mit dem Einsatz von „Lügendetektoren“ im arbeitsgerichtlichen Verfahren und schließt sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Einsatz von „Lügendetektoren“ an, wonach diese – auch im arbeitsrechtlichen Verfahren – ein völlig ungeeignetes Beweismittel darstellen.
Das BAG hält in seiner Entscheidung an seiner bestehenden Rechtsprechung fest, wonach eine Betriebsratsanhörung trotz inhaltlicher Unrichtigkeit, ordnungsgemäß sein kann. Trotzdem sollte die Betriebsratsanhörung immer sorgfältig durch den Arbeitgeber vorbereitet werden. Gerne Unterstützen wir Sie hierbei.
Obwohl das LAG die Revision zu der Frage, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Sozialdaten des Arbeitnehmers überhaupt zu den Gründen für eine Kündigung im Sinne des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu rechnen sind, zugelassen hat, ließ das BAG diese mangels Entscheidungserheblichkeit offen. Damit verpasste das BAG die Chance mehr Rechtssicherheit zu schaffen, da die bisherige Rechtsprechung des BAG hierzu zunehmend von der Literatur in Frage gestellt wird. Im Zweifel sollten Arbeitgeber daher bekannte Unterhaltspflichten dem Betriebsrat stets mitteilen.