18.07.2024

Erschütterung des Beweiswertes einer AU – und nun?

Die Arbeitsgerichte und insbesondere das BAG entwickeln die Rechtsprechung zur Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach dem Ausspruch einer Kündigung stetig weiter. Hierdurch reagieren die Gerichte auf den gesellschaftlichen Wandel und stellen zunehmend praktische Erwägungen an, so dass für die Praxis interessensgerechte Lösungsansätze geschaffen werden.

BAG, Urt. v. 13.12.2024, Az. 5 AZR 137/23

Nachdem die Möglichkeit der Erschütterung des Beweiswerts einer passgenau auf die Kündigungsfrist vorgelegten AU bei einer arbeitnehmerseitigen Kündigung bisher regelmäßig bejaht wird, nimmt das BAG nun an, dass dies auch im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung gelten soll.

In der vorgenannten Entscheidung des BAG Ende des Jahres 2023 stellte dieses klar, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber erschüttert sein kann, wenn der Arbeitnehmer eine nach Zugang der Kündigung ausgestellte, auf die Kündigungsfrist passende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien bestehen, die Zweifel and er Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.

Solche – die Beweiskraft erschütternde – Umstände können insbesondere dann bejaht werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer neuen Beschäftigung nachkommt. Diese wie auch weitergehende Umstände hat der Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Ist der Beweiswert der AU erstmal erschüttert worden, wird ein Gericht in der Regel zu dem Schluss kommen, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Arbeitnehmer nicht besteht.

Zu diesem Zeitpunkt stellt sich daher seitens des Arbeitnehmers häufig die Frage was nun?

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 07.05.2023, Az. 5 Sa 98/23

Hierzu gibt das LAG Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung vom 07.05.2024 nun klare Hinweise, was durch Arbeitnehmer in diesem Fall vorzutragen (und ggfs. zu beweisen) ist, um Ihre Krankheit nachzuweisen.

Das LAG betont, dass es Sache des Arbeitnehmers ist, konkrete Tatsachen dazulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu sei ein substantiierter Vortrag erforderlich, zB.

  • welche Krankheiten vorgelegen haben,
  • welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und
  • welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden

Hier muss zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum geschildert werden, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers bestanden haben.

Hintergrund der Entscheidung ist der Streit zwischen einem Fleischer (Kläger) und seinem Arbeitgeber (Beklagte) über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger war seit 2020 für das Unternehmen tätig und von Oktober bis Dezember 2022 mehrfach arbeitsunfähig. Am 09.12.2022, einem Freitag und dem letzten Tag seiner Krankschreibung, kündigte der Kläger fristgerecht zum 15.01.2023. Das Kündigungsschreiben übergab er am darauffolgenden Montag persönlich im Betrieb, ab Dienstag war er erneut krank. Wegen Anpassungsstörungen wurde er am 13.12.2022 zunächst bis zum 06.01.2023 krankgeschrieben, es wurden Antidepressiva verschrieben und er wurde zu einem Psychiater überwiesen.

Der Kläger nahm weder die verschriebenen Medikamente ein oder bemühte sich um eine alternative medizinische Versorgung, noch suchte er eine Psychiater auf.

Am 02.01.2023 wurde der Kläger mittels Folgebescheinigung bis zum 16.01.2023 krankgeschrieben.

Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde durch die Beklagte erschüttert. Dem Kläger war es nicht möglich den Beweiswert wiederherzustellen. Die von dem Kläger vorgetragene pauschale Behauptung einer Anpassungsstörung genügte den oben angeführten Anforderungen nicht. Insbesondere der Umstand, dass der Kläger die verschriebenen Medikamente ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt nicht eingenommen und unabhängig davon auch keinen Termin bei einem Facharzt vereinbart habe, weckten bei den Richterinnen und Richtern der entscheidenden 5. Kammer des LAG ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die nicht ausgeräumt werden konnten.

Ein Anspruch des Kläger auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus §§ 3 Abs. 2 Satz 1, 4 Abs. 1 EFZG wurde dem Kläger – in Abkehr von der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – nicht zugesprochen.

Rund um das Thema Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geht es auch in unserem Blogbeitrag vom 15.11.2023 zum BAG Urteil vom 28.06.2023. Hier setzen wir uns praxisnah damit auseinander, was in Zweifelsfällen der Arbeitsunfähigkeit zu beachten ist und unter welchen Voraussetzungen eine Erschütterung des Beweiswertes wahrscheinlich ist. Hier kommen Sie direkt zu dem Beitrag.