Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Urlaubsgewährung
Bereits mit Blogbeitrag vom 21.02.2019 haben wir auf die Entscheidung des BAG vom 19.02.2019 hingewiesen, mit der das höchste nationale Arbeitsgericht die Vorgaben des EuGH zum Verfall von Resturlaub (EuGH, Urteil vom 06.11.2018 – C – 684/16) umgesetzt hat.
Damals lag jedoch nur die Pressemitteilung vor. Inzwischen sind auch die Urteilsgründe im Volltext bekannt. In diesen gibt das BAG dem Rechtsanwender mehr konkrete Anhaltspunkte als erwartet.
Zur Erinnerung:
Der EuGH hatte am 06.11.2018 entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraum die ihm gemäß diesen Bestimmungen für den Bezugszeitraum zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub automatisch verliert.
Der Arbeitgeber kann sich nach Auffassung des EuGH auf einen fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers nur dann berufen, wenn er zuvor konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (bis 31.03. des Folgejahres) verfallen wird. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheiten.
Erbringt der Arbeitgeber diesen Nachweis und zeigt sich daher, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht genommen hat, steht das Europäische Recht dem Verfall des Urlaubsanspruchs bzw. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Abgeltung nicht entgegen.
Das BAG hatte folglich § 7 BUrlG richtlinienkonform auszulegen. Der nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt daher in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers sind damit Voraussetzung für den Verfall des Resturlaubs.
Ist der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen, ist der Urlaubsanspruch für das jeweilige Urlaubsjahr unabhängig vom Vorliegen eines Übertragungsgrundes (z.B. dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe) nicht an das jeweilige Kalender-/Urlaubsjahr gebunden, sondern kann auch später noch genommen werden.
Diese unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Mindesturlaub. Ausdrücklich kann darüber hinaus gewährter Mehrurlaub arbeits- oder tarifvertraglich anders geregelt werden. Erfolgen keine eindeutig abweichenden Regelungen, teilt der Mehrurlaub die unionsrechtliche Auslegung des gesetzlichen Mindesturlaub.
BAG zu den Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers:
Der Arbeitgeber muss konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss ihn dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt – soweit die Vorgabe des EuGH.
Das BAG präzisiert, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzen muss, in Kenntnis aller relevanter Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Er darf weder Anreize schaffen, noch den Arbeitnehmer dazu anhalten, seinen Urlaub nicht zu nehmen und dadurch – faktisch – auf ihn zu verzichten.
Im Einzelnen muss sich der Arbeitgeber auf einen konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen und den Anforderungen an eine völlige Tranparenz genügen. Ausdrücklich bildet das BAG das rechtlich zulässige Beispiel, dass ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform (E-Mail möglich!) mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm in dem Kalenderjahr zustehen, er ihn auffordert, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann und ihn über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn er den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt.
Die Anforderungen an eine klare Unterrichtung sind laut BAG regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt. Nimmt der Arbeitnehmer in diesem Fall seinen bezahlten Jahresurlaub nicht in Anspruch, obwohl er hierzu in der Lage war, geschieht dies aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Das BAG sagt auch, was den Anforderungen nicht genügt:
Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung werden den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung hingegen in der Regel nicht genügen. Allerdings wird eine ständige Aktualisierung der Unterrichtung, etwa anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs, nicht verlangt. Entscheidend sind einmal mehr die Umstände des Einzelfalls.
Zusammenfassung:
Durch die Erfüllung der vorbezeichneten Mitwirkungsobliegenheiten bindet der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr. Verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, den Urlaub zu gewähren, verfällt dieser am 31.12. des Urlaubsjahres.
Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs vor, wird der Urlaub „von selbst “ bis zum 31.03. des Folgejahres übertragen. Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall nur dann am 31.03. untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch andernfalls erlischt.
Entspricht der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht – oder kann er diese nicht nachweisen – tritt der am 31.12. noch bestehende Urlaub zu dem am 01.01. des Folgejahres entstehenden Jahresurlaub hinzu.
Praxistipp:
Durch die ausdrückliche Erläuterung einer beispielhaften, zulässigen Vorgehensweise gibt das BAG dem Rechtsanwender eine konkretere Hilfestellung für die Praxis, als man erhoffen durfte. Diverse Einzelfallgestaltungen werden in der kommenden Zeit den Weg zu den Arbeitsgerichten finden und den Arbeitgebern deutlicher vor Augen führen, welche Vorgehensweisen zulässig sind und welche nicht. Bis dahin empfiehlt es sich, wie vom BAG vorgeschlagen, vorzugehen.
Extra-Tipp:
Diese Thematik wird sicherlich auch in unserer Veranstaltung „Update Arbeitsrecht II“, die im Oktober 2019 stattfinden wird, intensiv besprochen.