Ausgestaltung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Mehrurlaub
BAG, Urteil vom 25.06.2019 – 9 AZR 546/17 (LAG Berlin-Brandenburg)
Sachverhalt
Der Arbeitnehmer nimmt die Arbeitgeberin auf Abgeltung von 65 Urlaubstagen aus den Jahren 2012 bis 2015 in Anspruch. Im Arbeitsvertrag war geregelt, dass der Arbeitnehmer 30 Werktage Urlaub hat. Die beim Arbeitgeber einsehbare „Urlaubs-/Jahresübersicht 2014“ vom Dezember 2014 wies in der Rubrik „Gesamt-Urlaub“ die Zahl „77,5“ aus. Nach dem 31.03.2015 gewährte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer an mindestens 32 Arbeitstagen Urlaub. Mit E-Mail vom 18.12.2015 wies der Arbeitgeber den Arbeitnehmer daraufhin, ggfs. bestehender Resturlaub müsse „bis zum 31.03.2016 genommen werden“. Der Arbeitnehmer erklärte mit Schreiben vom 31.12.2015 die fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Mit rechtskräftigem Urteil wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht fristlos, sondern mit Ablauf des 29.02.2016 endete. Der Arbeitnehmer vertritt die Auffassung, die Arbeitgeberin sei verpflichtet, Resturlaub im Umfang von 65 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 bis 2015 abzugelten, da dieser durch die Speicherung der Excel-Tabellen auf dem firmeneigenen Server anerkannt sei. Das Arbeitsgericht gab dem Begehren auf Urlaubsabgeltung statt, das LAG wies es ab.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die Revision des Arbeitnehmers hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung. Auf Basis der getroffenen Feststellung könne der Senat nicht entscheiden, ob dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zustand. Die Annahme des LAG, die Urlaubsansprüche seien gemäß § 7 III BUrlG verfallen, halte einer Überprüfung nicht stand. Dies ergebe sich aus der richtlinienkonformen Auslegung von § 7 I 1, III BUrlG. Danach trage der Arbeitgeber die Initiativlast zur Verwirklichung des Urlaubs, d.h. er habe den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Dies gelte sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaub als auch für den arbeitsvertraglichen Mehrurlaub. Zwar könnten die Arbeitsvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche abweichend regeln, die den von Art. 7 I RL 2003/88/EG gewährten und von §§ 1, 3 I BUrlG begründeten Anspruch auf Mindesturlaub übersteigen. Für einen abweichenden Regelungswillen müssten jedoch deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlten solche, sei von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf vertraglichen Mehrurlaub auszugehen. Vorliegend enthalte der Arbeitsvertrag keinen vom Gesetzesrecht abweichenden Regelungswillen. Das LAG habe daher aufzuklären, ob die Arbeitgeberin ihrer Initiativlast zur Verwirklichung des Urlaubsanspruchs nachgekommen sei. Allein die E-Mail vom 18.12.2015 genüge nicht, da die Angabe fehle, wie viele Urlaubstage dem Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt noch zustanden, und kein Hinweis auf die Rechtsfolgen enthalten sei, wenn der Arbeitnehmer nicht binnen der bezeichneten Frist nehme.
Praxishinweis
Das BAG bestätigt erneut seine jüngste Rechtsprechung zur Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs (Blog vom 09.08.2019). Dabei betont es, dass die regelmäßigen Urlaubsübersichten in den Personalwirtschaftssystemen der Arbeitgeber i.d.R. kein Anerkenntnis des dort genannten Urlaubsanspruchs bedeuteten. Vielmehr handele es sich um reine Wissenserklärungen. Der Arbeitgeber ist daher nicht mit dem Einwand ausgeschlossen, dass der im System angezeigte Urlaubsanspruch in Wirklichkeit gar nicht besteht oder erfüllt ist. Zudem betonen die Erfurter Richter, dass die Arbeitsvertragsparteien abweichende Regelungen zur Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers treffen könnten, soweit arbeitsvertraglicher Mehrurlaub betroffen ist. Arbeitgeber sollten daher im Rahmen der Gestaltung der Arbeitsverträge prüfen, ob vertraglicher Mehrurlaub einem generellen Verfall am Ende des Urlaubsjahres unterliegen sollte.